Anzeige

Adventsgeschichten im Vitalis – Vorleben und vorlesen

Mit gutem Beispiel vorangehen, das wollten wir: Also warum nicht einmal an einem Adventsnachmittag in einem Altenheim Geschichten vorlesen!?

Mehrere Stunden habe ich mit der Suche nach einer passenden Geschichte verbracht: Ein wenig zum Nachdenken sollte sie sein, und weder zu lang noch zu kurz. Das hatte ich mir einfacher vorgestellt, bin dann aber mit dem Ergebnis mehr als zufrieden: „Die Gabe“ von O. Henry sollte es werden. Frau verkauft ihr Haar, um Uhrenkette für Uhr ihres Mannes kaufen zu können; gleichzeitig verkauft Mann seine Uhr, um seine Frau mit wertvollen Kämmen zu beschenken. Das in aller Kürze zum Inhalt.

Und weil ich ohnehin schon dazu neige, schnell zu sprechen und bei Aufregung die Geschwindigkeit noch steigere, drucke ich die Geschichte auf buntes Papier und achte dabei auch auf eine für jedes Alter lesbare Schriftgröße; dieses Exemplar lasse ich dann im Vitalis, so kann der ein oder andere Bewohner sie auch nochmals nachlesen.

Franzi Ruzicka und Olivia Obermillacher

Am frühen Nachmittag bringt meine Cousine Olivia Obermillacher zusammen mit ihrer Freundin Franzi Ruzicka die für den Vorlesenachmittag eigens gebackenen Plätzchen. Besten Dank Euch dafür! – Ich habe zwei adventliche Schalen besorgt, auf die wir die Plätzchen drapieren und die wir dann zum Verbleib dort lassen wollen. Schließlich möchten wir nicht, wenn wir gehen, unsere Plätzchenteller wieder mitnehmen. Und weil zu Weihnachten einfach Engel gehören, packe ich als Plätzchentellerdeko noch kurzerhand aus meinem Fundus ein kleines Exemplar, ebenfalls zum Verbleib gedacht, mit in meinen Korb.

Karin Obermillacher
Foto: Luise Mortag

Mit gemischten Gefühlen betrete ich den Vitalis Wohnpark in der Louis-Schmetzer-Straße 15. Meine Vorfreude trifft sehr intensiv auf Erinnerungen an meine Oma, die hier zur Pflege war und mittlerweile leider verstorben ist.

Aber ich habe in weiser Voraussicht meinen 3-jährigen Sohn mit im Schlepptau, der sich neugierig umsieht und mich mit seinen Fragen wieder ablenkt.

Ein Mann im Rollstuhl kommt uns gleich im Flur entgegen und fragt uns, was oder wen wir suchen, und zeigt uns dann den Weg zum Gemeinschaftsraum. Viele noch leere Stühle stehen bereit, ein Adventskranz auf dem Tisch, Getränke und Thermoskanne, Tassen und ein Lautsprecher. Ich schmunzle und mir fällt der Rat einer Freundin zur Aktion ein: „Sprich nicht nur langsam, sondern auch laut!“

Sylvia Bogenreuther
Foto: Luise Mortag

Carmen Quarta, Demenzbetreuerin, begrüßt uns, und dank ihr hat mein Sohn im Handumdrehen auch schon eine kleine Tüte Gummibären in der Hand.

Nach und nach füllt sich der Raum mit vor allem älteren Damen und vereinzelten Herren. Wir werden interessiert, aber auch ein wenig kritisch beäugt. Ich schnappe mir einen Plätzchenteller und gehe in die Offensive. Jetzt kann ich punkten und ein, zwei Plätze, bzw. Plätzchen, gut machen.

Ich beantworte die Frage nach meiner Körpergröße und, ob „das Mädchen da!“ meine Tochter sei: „Nein, das Mädchen ist mein Sohn.“ Längere Haare an einem Jungen finden in der Altersgruppe der Heimbewohner nicht gerade leicht Akzeptanz.

Hans-Jürgen Eff
Foto: Luise Mortag

Dann geht es „offiziell“ los: Hans-Jürgen Eff, Sylvia Bogenreuther und ich, Karin Obermillacher, stehen vor unserer Zuhörerschaft und stellen uns nacheinander kurz vor.

Unsicher, ob mein Sohn Stillsitzen und Ruhigsein für die Dauer von mehr als einer Geschichte durchzuhalten vermag, bitte ich meine Kollegen darum, mit meinem Teil beginnen zu dürfen.

Und da sitze ich dann, mit trockenem Mund und Micro in der Hand und lese „Die Gabe“ vor – und entgegen meinem Vorsatz tue ich das – abgesehen von den ersten 2,5 Sätzen – zu schnell.

Deutlich souveräner ist dann schon der Vortrag von Sylvia Bogenreuther; sie hat Eckhard Leysers „Eine denkwürdige Herbergssuche“ mitgebracht. Unangefochtener Star des Nachmittags, vielleicht aber auch nur, weil er ein seltenes männliches Exemplar in den Vitalis-Räumen ist, ist dann Hans-Jürgen Eff. Munter reimt er „Der heilige Antonius von Padua“ von Wilhelm Busch, als ob er noch nie etwas anderes gemacht hätte. Save the best for last sozusagen. Und Respekt!

Am Ende bekommen wir tatsächlich Applaus, doch unser Publikum zieht sich daraufhin schnell aus dem Aufenthaltsraum zurück. Als ich mich erkundige, ob es denn gefallen habe, bekomme ich zu hören: „Ja, es war schön, nur ein bisschen zu lang.“ – Also, an mir lag es nicht, ich hab wirklich sehr zügig gelesen.

Mein Resümee: Es hat gar nicht wehgetan. Und es hat Spaß gemacht. Ich werde es wieder tun…nur viiiiel besser!

Und jetzt die entscheidende Frage an Euch: Wer ist dabei, wenn wir an einem Sonntag im Januar erneut in einem Altenheim vorlesen? Und wer erklärt sich bereit, dazu einen Kuchen, oder auch zwei, zu backen?

Besten Dank an Luise Mortag (Organisation und Fotos)!